5.Volguer(Vulgär)
In den letzten Dekaden
des 20. Jahrhunderts ist das Medium des Modefotos unerlässlich geworden. Es hat
unsere Sehgewohnheiten und die Möglichkeiten der Darstellung von Grund auf im
Vergleich zu den Modejournalen verändert. Außerdem hat es dazu geführt, dass
verschiedene Stile in den sozialen Schichten popularisiert wurden.[1]
Als eine der Ableger des
weltberühmten Condé Nast Verlages fällt die italienische Vogue immer wieder mit
provokanten und einmaligen Fotostrecken und Ausgaben aus der Reihe. So setzte
sich Chefredakteurin Franca Sozzani[2]
2008 für die „Black issue“ ein. Entgegen der Vermutung bestand die Ausgabe
nicht nur aus schwarzen Seiten, sondern war ausschließlich farbigen Models
gewidmet. Dies sollte als klarer Aufstand gegen die fehlende Diversität von
farbigen Models auf dem Laufsteg sowie in Magazinen und Werbekampagnen gelten.
Die Ausgabe wurde sage und schreibe drei Mal nachgedruckt, etwas, was in der
gesamten Geschichte der Vogue nicht passiert ist.
Interessant sind allerdings die Verkaufszahlen. Die
Ausgabe wurde auf der ganzen Welt förmlich aus den Regalen gerissen, nur fällt
auf, dass gerade in Italien selbst sehr verhalten darauf reagiert wurde, die
Verkaufszahlen waren enttäuschend. Sozzani selbst gibt zu, dass die Italiener
sehr konservativ und zurückhaltend reagierten. Die Idee, dass die Welt immer
globaler wird, vor allen Dingen, was die Vermischung verschiedener Völker
angeht, ist im Land noch nicht durchgedrungen. Hinzu kommt die immer steigende Zahl
afrikanischer Immigranten, die versuchen, in den südlichen Ländern Europas vor
Krieg, Arbeitslosigkeit und Armut zu fliehen, sich auch in Italien ansiedeln.
Für viele ein Dorn im Auge, scheint dies ein Grund zu sein, warum Die „Black
Issue“ hier gleich im schwarzen Loch versank.
Abb.4 www.vogue.it
Abb.5 www.vogue.it
Dies wirft direkt einen
anderen Blick auf den ewig währenden Versuch der Chefredakteurin, neue Themen
an die Frau zu bringen. Vielleicht muss man das Land, das durch seine typische
Stiefel - oder auch Overknee-Form bekannt ist, gesondert sehen von anderen
Ländern, in denen der Condé Nast Verlag monatlich neue Ausgaben ausliefert.
Denn gerade was Mode,
aber auch generell Konsumgüter, angeht, ist Italien sehr traditionsreich. Eines
der wenigen Länder, in denen Qualität an erster Stelle steht.
Hinzu kommt, dass Franca
Sozzani sich selbst auch immer wieder für wohltätige Zwecke einsetzt.[3]
Abb.6 www.vogue.it
Abb.7 www.vogue.it
Abb.8 www.vogue.it Abb.9
www.vogue.it
Aus der Fototstrecke „Water & Oil“,
fotografiert von Steven Meisel, veröffentlicht im August 2010
Abb.10 www.vogue.it
Abb.11 www.vogue.it
Abb. 12 www.vogue.it
Die Abbildungen auf der vorhereigen Seite zeigen
Ausschnitte aus der Fotostrecke „CINEMATIC“ aus der im April 2014 erschienen
Ausgabe der italienischen Vogue.
Abb.13 www.vogue.it
Das Cover zu der April-Ausgabe.
Wie man erkennen kann,
ist in der Strecke ein Horrorfilmszenario dargestellt, angelehnt an den Film
„The Shining“, in dem der Hauptdarsteller, ein Schriftsteller, mit seiner Frau
und seinem Sohn, über die Ferien in ein verlassenes Hotel zieht, um dort besser
arbeiten zu können. Doch wird er mit der Zeit immer manischer, es lässt sich
eine Art Schizophrenie erkennen, die schließlich dazu führt, dass er seine Frau
und seinen Sohn (mit einer Axt) umbringen will. [4]
Es lassen sich deutliche
Ähnlichkeiten zwischen Models und den Hauptdarstellern des Filmes erkennen,
außerdem ist das Set angelehnt an die Vorlage. Erinnern wir uns nun an Venohrs
Analyseansatz (s.S.17), so kann man sagen, dass das Bild keine eindeutige
Botschaft hat. Die Information, die es übermitteln soll, ist getrübt, von der
Tatsache, dass den meisten Rezipienten die Filmvorlage ein Begriff ist und man
so schnell eine Art Hommage darin sehen könnte.
Interessant ist, dass
das Team der italienischen Vogue genau zu diesem Editorial einen Artikel
verfasst hat. In eben diesem Artikel wird erklärt, dass man sich strikt gegen
Gewalt an Frauen ausspricht und diesbezüglich eine klare Haltung annimmt. Es
wird also deutlich gemacht, dass es sich anders als man es vielleicht denken
könnte, nicht um die Idee handelt, einen filmischen Klassiker neu zu
inszenieren, sondern ganz klar die Thematik der Gewalt Hintergrund dieser
Fotostrecke ist. Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass das Magazin schon oft
in der Vergangenheit kontroverse Themen als erstes Modemagazin aufgegriffen
hat. Das Ganze hat dazu geführt, dass die italienische Vogue verschiedenste
soziale Organisationen und Einrichtungen mit Spenden unterstützt.
Das ganze klingt
zunächst löblich. Doch korrespondiert diese Stellungnahme meiner Meinung nach
nicht mit folgendem Auszug aus demselben Artikel:
„This is how ‘Street’
becomes ‘Style’ in highly
appealing editorials[…]. And it is definitely not rare to see fashion magazines
setting brand new phenomena and trends, blending distant inspirations and
suggestions that have very little in common, sometimes even building them from
scratch.
[…] This is also true for some behaviors, attitudes and
specific manias depicted mainly with words, when an ‘entertainment’
magazine “breathes them in” and makes them evident.“[5]
Wenn ich diese Worte
also richtig interpretiere wird gesagt, dass aus gesellschaftlichen
Geschehnissen, Problemen oder bestimmten Ereignissen, schnell ein Trend werden
kann, kombiniert man diese mit Dingen, die eigentlich gar nichts damit zu tun
haben.
Bedeutet das also, dass
explizite Gewaltdarstellungen vielleicht bald zum Trend werden? Das Wort Trend
ist eigentlich ein ziemlich leeres Wort, bezeichnet es doch eigentlich nur ein
Phänomen jeglicher Art, welches scheinbar besser ausgebildete Menschen als man
selbst für wichtig betrachten und deshalb nun von der Masse nachgeahmt wird.
Ein Trend scheint nichts zu sein, was man ausführlich recherchiert hat oder
wissenschaftlich belegbar oder gar relevant ist. Ein Trend kann da sein oder
auch nicht. Sollte man also einen solchen Begriff verwenden, um deutlich zu
machen, dass sich von nun an mehr medial mit diesen kontroversen Themen
auseinandergesetzt werden soll? Das Ganze scheint von der Dringlichkeit der
Thematik abzulenken.
Das Model in Abb.11 wird
in einer hilflosen Position dargestellt, ihr Blick voll Angst, und auch wenn
man versucht sich in ihre körperliche Situation zu versetzen, wird klar, dass
der Körper sehr angespannt ist, sie klammert sich beinahe in die Wand. Alles
Indizien, die darauf zurückschließen lassen, dass hier jemand dargestellt ist,
der pure Angst empfindet. Die Überraschung liegt in der Darstellung eines
solchen Szenarios, welches für ein Modemagazin eher untypisch scheint.
„Es handelt sich demnach einerseits um eine
inszenierte Authentizität, andererseits zeigt sich darin jedoch auch eine
authentische Inszenierung, denn die Art und Weise der Modefotografie legt offen
dar, dass sie inszeniert ist.“[6]
Im nächsten Bild (Abb.
12) sogar liegt das Model leblos auf dem Boden. Ihre Glieder in einer
ungewöhnlichen Position, lassen es so scheinen, als wäre sie die Treppe
heruntergefallen. Dabei verschmelzen ihre roten Locken scheinbar mit dem Blut,
das aus ihrem Schädel läuft. Sie ist tot.
Nicht unüblich, dass
Opfer häuslicher Gewalt von ihren Peinigern geschlagen oder sogar Treppen
heruntergestoßen werden.
Das Cover der Ausgabe (Abb.13)
nun scheint das Ende des Filmes, beziehungsweise des Editorials vorweg zu
geben. Ein Model hat es geschafft, ihren Peiniger zu bezwingen, liegt nun mit
ihm, der leblos scheint, auf dem kalten Fliesenboden. Ihre doch sehr innig
scheinende Position und ihr ruhiger, lasziver Blick, wirken paradox zu den Emotionen,
die innerhalb der Strecke gezeigt werden.
Es wirkt wie ein
typisches Cover, das nicht zu kontrovers sein darf, da es sonst womöglich
niemand kauft. Es ist eine sichere Bank. Eine attraktive junge Frau, mit einem
sexy Blick, das kennt man auch von anderen Zeitschriften.
In diesem Punkt hätte
Sozzani womöglich ein größeres Risiko eingehen können und ein dynamischeres,
aggressiveres Bild wählen können mit einem sofortigen Verweis, auf das
eigentliche Thema.
Weiterhin sehe ich als
Problematik, dass der Film, der als Vorlage galt, so oberflächlich, wie nur
möglich betrachtet wird. Es geht viel weniger um Gewalt und Aggressivität an
sich, als vielmehr um einen Mann, der kontinuierlich falsche Entscheidungen
trifft, die ultimativ dazu führen, dass der sich ankündigende Wahnsinn vollkommen
von ihm Besitz ergreift. Eine Art Manie, eine psychische Störung, die ihn dazu
bewegt, seine Familie umbringen zu wollen.[7]
In der Fotostrecke
allerdings wird die leere Hülle des Filmes, der bloße visuelle Eindruck, Bilder
mit neuem Inhalt gefüllt. Ob dies im Ermessen des Autors oder Regisseurs lag,
ist eine andere Frage. Ich sehe hier keine anspruchsvolle künstlerische
Interpretation, hätte man auch jeden beliebigen Film als Vorlage nutzen können.
Der Fotograf wird von
der Modezeitschrift beauftragt, nicht von dem Unternehmen, dessen Kleidung er abbildet.
Er stellt ein Thema dar, das redaktionell erarbeitet wurde. Die Fotostrecke
soll informieren, unterhalten und im formalen und inhaltlichen Zusammenhang zu
dem Rest der Zeitschrift passen. Modefotografie unterscheidet sich also von der
Werbefotografie, indem sie häufig im redaktionellen Kontext, also innerhalb der
Zeitschrift erscheint.[8]
Steven Meisel hat also seine eigene Vision umgesetzt, die er zusammen mit der
Redaktion erarbeitet hat, scheinbar unabhängig von dem Film, der als Vorlage
galt.
Nicht nur Fotografen,
auch Stylisten, Make-Up-Artisten und die Redakteure der Zeitschriften selbst,
werden heutzutage mit ihrer Arbeit, oder besser gesagt ihren Werken, immer öfter
auf den Status eines Künstlers erhoben. Sich selbst als Künstler darzustellen
und mit seiner Arbeit einen tieferen Sinn zu erfüllen, als den, eine bestimmte
Ästhetik widerzuspiegeln, soll der eigenen Arbeit mehr Seriosität verleihen.
Modemedien stehen in Zeiten von Bloggern, Selbstdarstellern, die ihre Meinungen
ungefiltert in die ganze Welt schreiben können, in Verruf, nicht fundiert
recherchiert oder vertrauenswürdig zu sein.
Vor allen
Modezeitschriften zeigen deshalb vermehrt Kollaborationen mit Künstlern, um
sich von rein kommerziellen Magazinen abzuheben. Steven Meisel zum Beispiel ist
ein Fotograf, der schon seit Jahrzehnten sehr eng mit der italienischen Ausgabe
der Vogue zusammenarbeitet und schon öfter sehr künstlerische Arbeiten auf den
Seiten der Hochglanzmagazine präsentiert[9].
Die Überschrift der
Strecke könnte genauso gutheißen: Wie kleide ich mich am besten als Opfer von
häuslicher Gewalt[10].
Denn die Italienische Vogue verzichtet, anders als künstlerisch ausgelegte
Modezeitschriften, nicht auf „product placement“.[11]
Franca Sozzani selbst
sagt, dass etwas dagegen getan werden muss, damit Mode nicht langweilig wird.[12]
Da stimme ich ihr zu.
Als Studierende der Mode
werden wir dazu erzogen, nicht das zu repetieren, was schon viele andere vor
uns getan haben. Man wird getriezt dazu, sich selbst, Mode, die Industrie
ständig neu zu erfinden, gestalten, designen. Vielleicht liegt das Problem also
in der Schnelllebigkeit der Branche, dem schnellen Aufstieg und noch
schnellerem Fall vieler Persönlichkeiten und dem Druck nicht zu enttäuschen.
Ein bitterer
Beigeschmack bleibt für mich jedoch. Mode darf kontrovers sein, muss sie sogar.
Dies am besten sogar auf den ersten Blick, damit sie nicht weggewischt oder gar
weggeschrubbt wird[13].
Die Fotostrecke zu „CINEMATIC“ ist kontrovers und es wird dem Leser
verständlich gemacht, dass es sich um eine künstlerische Interpretation eines
gesellschaftlichen Problems handelt, um auf eben dieses Problem aufmerksam zu
machen. Doch frage ich mich, ob es Aufgabe dieses Werkes ist, den Leser
trotzdem auf das Produkt aufmerksam zu machen?
[1] Mentges und
König, 2010, S. 12
[2] Franca
Sozzani ist seit 1994 die Chefredakteurin der italienischen Vogue. Geboren in
Mantua, Italien hat Sozzani Philosophie und Literatur an der Universität „Sacro
Cuore“ in Mailand studiert. Bekannt ist sie weiterhin für ihre humanitäre
Arbeit und als Botschafterin für die UNO. www.businessoffashion.com
[3]
www.forbes.com
[4]
www.wikipedia.org
[5]
www.vogue.it
[6] Venohr,
2010 S. 47
[7]
www.wikipedia.org
[8] Venohr,
2010 S. 49
[9] Oakley
Smith und Kubler Preston, 2013 S. 209
[10] In
Deutschland haben 35% der Frauen körperliche und/oder sexuelle Gewalt durch
Partner/in oder eine andere Person seit ihrem 15. Lebensjahr erfahren. 44%
haben sogar schon vor ihrem 15. Lebensjahr psychologische, körperliche oder
sexuelle Gewalt erfahren. Damit liegt die Gewaltbetroffenheit von deutschen
Frauen sogar leicht über dem Durchschnitt der EU. www.frauen-gegen-gewalt.de
[11]Oakley
Smith und Kubler Preston, 2013 S.206
[12]
www.forbes.com
[13] Es ist
häufiger vorgekommen, dass Putzfrauen in Museen Objektkunstwerke und
Installationen des Künstlers Joseph Beuys beschädigt haben, da sie dachten, sie
wären beschmutzt und müssen gereinigt werden. www.sueddeutsche.de
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