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1.Editorial

It's called fashion, sagte Anna Wintour[1] vielleicht als sie gefragt wurde, was sie zu ihrem Outfit angeregt hat. It's called fashion, antwortete Jeremy Scott[2] womöglich auf die Frage, wie alltagstauglich seine Kleidung ist. It's called fashion. Die Antwort, die man allen Laien, all denen, die sich nicht mit der Materie Mode auskennen, gerne gibt. Die „fashion“ nicht atmen, fühlen, in jeder Pore ihres Daseins. Es ist der einfache Weg, man sagt eigentlich nichts, aber trotzdem genug, als dass keiner mehr fragt.
Aber ist es auch die Antwort auf die Frage, warum man explizite Darstellungen von Gewalt gegen Frauen, Drogenabhängigen auf Entzug oder Menschen, die unter den Folgen der Ölkatastrophe am Golf von Mexiko leiden, in den glänzenden Seiten von Mode- und Lifestyle-Magazinen abgelichtet sieht?

Das Cover der April-Ausgabe 2014 der italienischen Vogue zeigt ein Model auf kaltem Fliesenboden liegend, ihren Arm um den Kopf eines scheinbar bewusstlosen Mannes gelegt. Die Buchstaben, in denen eines der wohl wichtigsten Wörter der Modewelt geschrieben ist, passend zu dem, was einen erwartet, in dunklem Rot gehalten. Blättert man nun weiter sieht man eben dieses Model schreiend davonrennen. Davonrennen von einem blutverschmierten Mann, der mit einer Axt in der Hand und dem Wahn im Gesicht scheinbar zu allem in der Lage ist. Wie reagiert man auf eine solche Szenerie als Leser, vor allem wenn man erwartet über Mode informiert zu werden und stattdessen mit gewalttätigen Geschichten konfrontiert wird? Schockiert? Die Fotostrecke ist passend dazu „CINEMATIC“ (filmisch) betitelt worden.

Auf den ersten Blick scheint dieses eine Wort auszureichen, um zu erklären, worum es sich handelt, nämlich eine kreative Referenz an einen filmischen Klassiker, für das, was den ein oder anderen vielleicht zuerst geschockt hat.
Oder tat es dies überhaupt? Sind wir geschockt, wenn wir diese Art von Szenerie, blutverschmierte Böden, um Hilfe schreiende junge Frauen sehen. Schocken uns diese Bilder noch? Oder sind wir mittlerweile schon so an derartige Darstellungen gewöhnt, dass wir, selbst wenn wir durch eine Zeitschrift blättern, die schöne Kleider an perfekten Models zeigen soll, das eigentliche Geschehen, die Geschichte in den Bildern ausblenden? Denn bei aller Liebe, dass es sich nur um Kunstblut und wahrscheinlich auch keine echten Äxte handelt, das können wir uns alle denken.

Nun stellt sich für mich die Frage, in welchem Maße der durchschnittliche Leser in der Lage ist „richtig“ auf diese Bilder zu reagieren? „Richtig“ würde meiner Meinung nach bedeuten, dass man bewusst den Hintergrund erkennt, der auf Gewalt gegen Frauen, vielleicht sogar häusliche Gewalt oder unbehandelte psychische Störungen, Schizophrenie oder Paranoia schließen lässt. In der Lage zu sein, diese Thematiken differenziert, vielleicht sogar mit Fachwissen zu betrachten.
Wer kauft sich eine Modezeitschrift wie die Vogue, eine der kommerziell am erfolgreichsten, fast jedem bekannte Zeitschrift und erwartet moralisch, gesellschaftskritisch oder emotional großartig gefordert zu werden? Denn wenn man ehrlich ist, die meisten blättern nur schnell durch, lesen vereinzelt Artikel und schauen sich die Bilder an.

Ich komme deshalb nicht über den Gedanken hinweg, dass versucht wird, sich damit zu schmücken, als erster eine Lanze für die Modewelt zu brechen. Wird der Versuch, sozialkritische Themen in die scheinbar fremde Modewelt zu integrieren dazu genutzt, Profit daraus zu schlagen? Oder zählt einzig und allein der gute Wille?

Wird also in der Modewelt versucht zu schockieren, alle Blicke auf die neueste Kollektion zu lenken, indem man Themen benutzt, die alles andere als glamourös sind, die dem widersprechen, wofür Mode, der schöne Schein steht? Oder wird ein Versuch unternommen, mit diesem scheinbaren Paradox auf Missstände aufmerksam zu machen und ultimativ auch wirklich eine Veränderung zu bewirken?
Dieser Fragestellung möchte ich mich in den folgenden Kapiteln widmen, untersuchen wie in Modezeitschriften, Kleidung, auch in Werbekampagnen Tabuthemen unserer Gesellschaft inszeniert werden und mit welchem Hintergrund dies getan wird und welche eventuellen Folgen sich daraus ergeben.


[1] Chefredakteurin der amerikanischen Vogue. www.businessoffashion.
[2] Kreativdirektor der Marke „Moschino“. www.latimes.com

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